Als ich vor einem Jahr beschloss, diesen Blog zu führen, war mein Antrieb, einen etwas anderen Modeblog zu schreiben, nämlich einen Blog über das Lebensgefühl „Mode“ (und nicht so sehr über die Must-haves der Saison). Egal, wohin ich gehe, Mode umgibt mich, Mode zieht mich an, weil ich nun mal so bin. Wenn ich neue Orte bereise, so geht es natürlich um Architektur, Lebensgefühl, Kultur und Sprache, doch für mich auch immer um Mode. Worauf würde ich in Palermo treffen?
Beeinflusst von der unglaublichen Erfahrung in Neapel vor einem Jahr, machte ich mich auf einen bestimmten Stil gefasst, der sich generationenabhängig durch die Bevölkerung zieht. Doch, nein, ich bin mir keiner inspirierenden Auffälligkeit bewusst geworden in Palermo. In Neapel dominierte Schwarz kombiniert mit Adidas Sneakern. In Palermo…. Tja, in Palermo dominierte eher das Dasein. Wie von einer mediterranen Stadt am beinahe südlichsten Zipfel Europas nicht anders zu erwarten, ist das Beisammensein, die spontanen Ansammlungen an den Piazzen, Gassen und Straßenecken das Gebot des Lebens. „Kleider machen Leute“ erschien mir als Lebensmotto hier geradezu lächerlich. Sicherlich ist Palermo eine Stadt mit vielen Problemen, wie Arbeitslosigkeit und einer paralysierenden Perspektivlosigkeit, die einen eher dazu treiben, sich ums pure Überleben als um die Kleiderauswahl zu kümmern. Eines ist jedoch ganz klar:
Die Palermitaner bleiben bei all dem irgendwie beneidenswert
entspannt und lebensfroh.
In anderen Reiseberichten und -blogs war von der Omnipräsenz der Mafia die Rede und von zum Teil unfreundlichen Stadtbewohnern, doch all dem kann ich nur bedingt zustimmen. Ja, es gibt die Mafia, doch viel auffälliger waren die Plakate, Graffitis und Aufkleber, die die Bekämpfung der Mafia propagierten. Natürlich durfte auch ich am Rande erfahren, dass unser unglaublich sympathischer, von sizilianischem Temperament strotzender Restaurantbesitzer das eine oder andere Wort über Schutzgeld, dem pizzo, fallen ließ. Doch dabei beeindruckte mich (erneut) der Wille, dagegen vorzugehen, der Wille sich nicht unterjochen zu lassen und der Wille, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. (Einige lautstarke Gespräche am Handy verrieten dies. LOL)

Wenn wir schon bei einem Modeblog sind, dann sollte der sehr eigene Kleidungsstil dieses Herren nicht unerwähnt bleiben. Auf dem Kopf die „Coppola storta“, am Oberkörper ein Gillet sowie eine merklich uninteressante Jeans und schön, abgetragene Herrenlederschuhe. Beinahe wie der Zeitungsverkäufer auf der Straße aus den 20er Jahren.

Auch ein Grund, aus dem ich nicht allzu viel über die Modetrends der Frauen in Palermo schreiben kann, ist die Tatsache, dass das Stadtbild von Männern geprägt war. Wohl ein Ausdruck des doch ziemlich stark vorherrschenden Patriarchats in diesem Teil Italiens bzw. Europas. Auf den sehenswerten Märkten, Ballarò e Capo, wo der Orient und Okzident miteinander verschmelzen, sieht man Männern. In den meisten Restaurants bedienten Männer. Auf den Straßen: Männer. In dem, einem Ghetto leider sehr nahe kommenden, Stadtviertel nahe des Hafens: Männer. Und deren Kleidungsstil ist praktisch, nicht ausgesucht.
Glücklicherweise (für diesen meinen Blog) kann ich eine mir den Atem raubende Überleitung zu einem ganz besonderen Mann Palermos an dieser Stelle anfügen. Ich hatte die fantastische Idee, während meines Urlaubs in die Oper zu gehen, ins Teatro Massimo. Unter den Besuchern mischten sich der Casual-Look mit dem, tja, wie möge man das nennen, mit dem Pompös-Ausgefallenen! Während der Pause entdeckte ich einen Mann, dessen Existenz mir nur in Filmen möglich schien. Liberace in Person stand vor mir. Ein Herr um die 60, blondiertes, in einen weichen Seitenscheitel gelegtes mittelkurzes Haar, um die Schultern eine langer Pelzumhang, der die zahlreichen Perlen- und Goldketten um dessen Hals beinahe verschlang. An den Füßen trug der zierliche Herr Damenschuhe mit einem kleinen Absatz so wie es die First Lady der 60er bevorzugte. Um ihn herum scharwenzelten seine Accessoires: junge, bildhübsche, schwule Männer um die 20.

Ich war baff. Ich war fasziniert von der Selbstverständlichkeit seines Aussehens, seines Gehabes, seiner Entourage! Ziemlich schnell merkte ich, dass außer mir kaum einer starrte, was nur bedeuten konnte, dass er keine unbekannte Persönlichkeit sein konnte. Wie sich am Ende herausstellte war es der Nachkomme einer uralten, reichen Familie aus Palermo. Selbst beim Schreiben überkommt mich das Gefühl, Teil eines Films oder einer Zeitreise in den Barock gewesen zu sein – natürlich nicht zuletzt auch wegen des grandiosen Teatro Massimos.
Ich war baff. Ich war fasziniert von der Selbstverständlichkeit
seines Aussehens, seines Gehabes, seiner Entourage!
Außer Liberace traf ich auch noch den Jäger aus Rotkäppchen, der mit seinem schweren, dunklen Cape die Gänge des alten Theaters nach Wölfen absuchte. Alle anderen Besucher waren wie oben erwähnt entweder deutlich unter dem Auffälligen oder haben ins Schwarze eines 08-15-Outfits getroffen.
Auch wenn ich keine inspirierende Erfahrung in Sachen Mode gemacht habe, so doch in Sachen Lebensgefühl, Durchhaltevermögen und natürlich in Sachen gutes Essen. Palermo ist chaotisch, zum Teil in uralten Zeiten zurückgeblieben, rau, manchmal sehr ernst, laut, auch arm, aber es lebt und die Geschichte hat gezeigt, dass es alles überlebt. Eine starke Stadt, die es sich zu sehen lohnt – mit oder ohne Shopping-Pläne!